Eine ärztliche Krankschreibung für einen Arbeitnehmer zur Vorlage beim Arbeitgeber zur Sicherstellung des gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs, ganz bequem von der Couch – und das ohne Arztbesuch oder -kontakt.
Das soll gehen?
Ja, so wird es zumindest im Internet von zahlreichen Anbietern angepriesen.
Dieses Angebot nahm auch ein IT-Consultant an, der kostenpflichtig eine Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit erwarb. Er füllte über die Website einen Fragebogen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten aus, u.a. zu Symptomen, zur ausgeübten Tätigkeit, zur Intensität der Anstrengung der Arbeit. Ein Kontakt mit einem Arzt fand nicht statt – und zwar weder persönlich, noch telefonisch oder digital.
Auf der Website des Anbieters wurde ein „AU-Schein ohne Gespräch“ und ein „AU-Schein mit Gespräch“ angeboten, wobei der Letztgenannte mit höheren Kosten verbunden ist.
Darüber hinaus wird dort auszugsweise auf Folgendes hingewiesen:
- „Krankschreibung mit Arztgespräch gültig mit Geldzurück-Garantie, falls Deine AU nicht sofort akzeptiert wird. Wir zahlen Dir sogar 100% Deines Lohns, falls er verweigert wird. Beim AU-Schein OHNE Arztgespräch solltest Du Deinen Arbeitgeber sofort um Akzeptanz der AU bitten, insb. wenn er misstrauisch ist. Schreib´ ihm z.B.: „Hier ist meine AU als PDF. Ist die OK so?“. Falls er sie nicht zeitnah akzeptiert, storniere kostenlos und hol´ Dir lieber die AU MIT Gespräch bis zu 3 Tage rückwirkend von unseren online Ärzten mit deutscher Zulassung oder von einem Praxisarzt.
- Denn unsere AU OHNE Arztgespräch hat im Streitfall vor Gericht geringeren Beweiswert als unsere AU MIT Arztgespräch. Falls Dein Chef dann Indizien gegen Dich hat (z.B. Partyfoto auf Instagram), bräuchtest Du weitere Beweise (z.B. Freund als Zeuge). Die zugelassenen Ärzte für die gültige AU OHNE Arztgespräch sind zudem international und nur online tätig, so dass sie weder Praxissitz noch Zulassung in Deinem Land benötigen. Das könnte misstrauische Arbeitgeber bei Nachforschungen irritieren, da diese Ärzte nur im Ausland und somit nicht bei einer deutschen Ärztekammer registriert sind. Auf der AU steht daher unter dem Arztnamen statt der Adresse in Pakistan nur: „Privatarzt per Telemedizin“ sowie dessen deutsche WhatsApp-Nr. und deutsche Email Adresse.“
Die Bescheinigung legte der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber vor, der daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos kündigte – und zwar vollkommen zu Recht, wie das LAG Hamm feststellte.
Durch die Vorlage der Bescheinigung habe der Kläger bewusst wahrheitswidrig suggeriert, dass zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden habe. Dies stellt eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als „an sich“ wichtiger Grund geeignet ist. Ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, ist unerheblich.
Ferner habe sich der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen. Dieses Verhalten ist ebenfalls geeignet, einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
Für den Zeitraum vom 19.08.2024 bis zum 23.08.2024 ist eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers durch die Bescheinigung vom 21.08.2024 attestiert. Der Beweiswert dieser Bescheinigung ist jedoch wegen der Nichteinhaltung medizinischer Standards erschüttert. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist entgegen § 4 Abs. 5 S. 1, 2 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie nicht im Wege einer ärztlichen Untersuchung, sondern ohne jeglichen Arztkontakt erfolgt.
„Lessons learnt“ aus der Entscheidung des LAG Hamm aus Arbeitgebersicht:
- Die im Personalbereich tätigen Arbeitnehmer sollten sensibilisiert werden. Auch wenn Bescheinigungen auf den ersten Blick aussehen wie ein klassischer gelber Schein, lohnt sich eine genauere Prüfung – insbesondere da gesetzlich versicherte Arbeitnehmer seit dem 01.01.2023 keine Pflicht mehr haben, eine AU-Bescheinigung vorzulegen (§ 5 Abs. 1a EFZG).
- Onlinebasierte AU-Bescheinigungen ohne Arztkontakt haben keinen Beweiswert. Entgeltfortzahlung kann verweigert werden.
- Eine fristlose Kündigung ist möglich und sollte alternativ erwogen werden.
Das LAG Hamm hat die Revision zum BAG nicht zugelassen – ein Selbstläufer ist eine solche Kündigung daher noch nicht.
Achtung:
Eine abweichende Bewertung gilt, wenn die Krankschreibung telemedizinisch zulässig erfolgt – z.B. per Telefon oder Videocall – und damit ein Arztkontakt stattgefunden hat. Dieser Fall ist nicht vergleichbar mit rein online generierten Bescheinigungen ohne Untersuchung.
Für Arbeitnehmer gilt:
Wer auf onlinebasierte Krankschreibungen setzt, die offensichtlich auf Missbrauch ausgerichtet sind, spielt mit seinem Arbeitsverhältnis! Das sollte man sich bewusst machen!
Wenn Sie ergänzende Fragen haben sollten, melden Sie sich jederzeit gerne bei Dr. Alexander Bissels.

