Im Zentrum einer aktuellen Entscheidung des LAG Hamburg steht die Frage, ob der Zugang eines arbeitgeberseitig an den Arbeitnehmer übermittelten Schriftstücks durch einen Anscheinsbeweis beim Einwurfeinschreiben nachgewiesen werden kann (Urt. v. 04.07.2025 – 4 SLa 26/24).
Nach der überwiegenden Ansicht gilt der Einlieferungsbeleg in Verbindung mit dem sogenannten Auslieferungsbeleg der Deutschen Post als hinreichendes Indiz für den tatsächlichen Einwurf des Schreibens in den Briefkasten des Empfängers.
Diese Beweiserleichterung gerät durch die Digitalisierung der Zustellprozesse ins Wanken. Die Deutsche Post verwendet keine physischen Nachweise mehr, sondern arbeitet mit Scannern und digitalen Datensätzen. Dadurch entfällt die Kontrolle, die bislang Grundlage für den Anscheinsbeweis war.
Die Herausforderung besteht darin, dass der Versender zwar einen digitalen Zustellvermerk erhält, dieser aber keine Gewähr dafür bietet, dass das Schreiben tatsächlich in den richtigen Hausbriefkasten eingeworfen wurde.
Damit stellt sich die entscheidende Frage: Kann ein Anscheinsbeweis unter den Bedingungen des digitalisierten Zustellverfahrens überhaupt noch greifen oder ist das Einwurfeinschreiben als Beweismittel ungeeignet?
Im letztgenannten Sinne hat das LAG Hamburg entschieden. Das Urteil besprechen mein Kollege Dr. Stefan Steeger, LL.B. und ich im aktuellen jurisPR-ArbR ausführlich.
Dieses verschärft die Unsicherheit für den Zugang von fristgebundenen Erklärungen und ignoriert, dass der Nachweis durch ein Einwurfeinschreiben auch heute noch eine weitgehende Typizität aufweist.
Sollte der Arbeitnehmer nicht persönlich erreichbar sein, bleibt für den Rechtsanwender folglich für die rechtssichere Zustellung einer Erklärung nur der Bote oder der Gerichtsvollzieher.
Für die Praxis markiert die Entscheidung des LAG Hamburg eine Zäsur. Zwar herrschten schon zuvor divergierende Auffassungen, doch bislang wurde der Anscheinsbeweis beim Einwurfeinschreiben überwiegend bejaht – bei Vorlage des Einlieferungs- und der Reproduktion des Auslieferungsbelegs (nach dem „Peel-off“-Verfahren).
Das LAG Hamburg verschärft die Anforderungen an den Nachweis einer Zustellung weiter. Sollte sich diese Linie durchsetzen, würde das Einwurfeinschreiben als Mittel des Zugangsnachweises entwertet.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung im Übrigen positionieren wird. Das LAG Hamburg hat die Revision zugelassen, die inzwischen eingelegt wurde (Az. 2 AZR 184/25).
Das BAG wird hoffentlich bald für Klarheit sorgen – in welchem Sinne auch immer!
Wenn Sie ergänzende Fragen haben sollten, melden Sie sich jederzeit gerne bei dem Autor Dr. Alexander Bissels.

